Komplexität
„Der Ausdruck ›komplex‹ ist dem lateinischen ›complecti‹ entlehnt, das ›umschlungen‹ aber auch ›verflochten‹ meinen kann. Im allgemeinsprachlichen Gebrauch werden damit meist Verhältnisse benannt, die wenig überschaubar, vielschichtig oder nicht auflösbar erscheinen. Als wissenschaftstheoretischer Begriff wurde ›Komplexität‹ Mitte des 20. Jahrhunderts vor allem in kybernetischen Theoriezusammenhängen ausgearbeitet und setzt sich seitdem in natur-, sozial- und kulturwissenschaftlichen, jüngst auch in erziehungswissenschaftlichen Feldern zunehmend fort. (Vgl. Rucker/Anhalt 2017; Tanner 2010) Quer zu den genannten Theoriezusammenhängen gibt es jedoch keine eindeutige Wortübersetzung für ›komplex‹, sondern eine Vielzahl von eingeflossenen Bedeutungszusammenhängen, die sich in ihrem Sinn überschneiden.
Für die Erziehungswissenschaftler Thomas Rucker und Elmar Anhalt ‚markiert der Begriff der Komplexität unlösbare Problemstellungen, das heißt Probleme, zu deren erwartbar erfolgreicher Lösung‘ keine Regeln zu Verfügung stehen, (ebd., S.10, Herv. i.O.) bzw. die Gleichzeitigkeit alternativer, gleichberechtigter Lösungsoptionen. (Vgl. ebd., S. 26) Dieser Definitionsansatz würde zunächst Paradoxien einschließen, die gleichfalls unlösbare Problemstellungen zwischen äquivalenten Gegensätzen darstellen. Während aber bei einer Paradoxie logische Zirkularität Grund für die Unauflösbarkeit ist, so ist dieser für komplexe Zusammenhänge in anderen Aspekten zu suchen. Der Soziologe Alex Demirović definiert Komplexität ‚als eine Konstellation, in der die Zahl der Elemente eines Systems so groß ist, daß sie nicht alle miteinander in Relation zueinander gesetzt werden können, sondern immer auch andere Kombinationen möglich wären.‘ (Demirović 2001, S. 219) Im Gegensatz zur Logik der Paradoxie, deren konstituierenden Pole bekannt sind, liegt der Grund für die Nichtlösbarkeit komplexer Probleme demnach in der Unmöglichkeit, einen Überblick über die bestimmenden Faktoren von komplexen Verhältnissen zu bekommen. Von diesem Standpunkt aus muss ich davon ausgehen, immer etwas nicht zu wissen, nicht zu sehen und muss gleichzeitig annehmen, dass genau dieses Nicht-Gewusste und Nicht-Gesehene Wirkung auf mein Wissen und meine Sicht der Dinge entfaltet.“
Quelle: Henschel, Alexander (2019): Kunstpädagogische Komplexität – Logiken und Begriffe der Selbstbeschreibung (hrsg. von Andrea Sabisch, Torsten Meyer, Heinrich Lüber, Eva Sturm), Kunstpädagogische Positionen 48. Hamburg, S. 19-20.