• AUßER_ORDENTLICH

    Kunsthochschulen sind außergewöhnliche Orte. Die nur hier so vorzufindende Melange aus euphorisch zukunftsgewisser Gestaltungsfreude sowie einer Prise ungestümer Anarchie ist ein unvergleichlich wertvoller Schatz. Der Korpus einer Kunsthochschule wird aus ihren Klassen gebildet – ihr „Goldschatz“. Ihr Herzschlag wird von der Freiheit der ‚künstlerischen Lehre’ bestimmt: Für Einige Reizwort, gar verunklärendes Mysterium, für die Kunsthochschule unabdingbare Grundlage – immer jedoch Ausweis der Außerordentlichkeit dieser Institutionsform.

    „Wir stellen keine Aufgaben.“ Dieser Satz der Professorin Judith Samen zielt unmittelbar auf den Kern künstlerischer Lehre: „Was wir machen, ist einen Freiraum zu schaffen, in dem die Leute frei entscheiden können, was sie tun.“ (Prof. Martin Schwenk) Eine Kunsthochschule sollte ihren Studierenden einen Raum eröffnen, in dem sich künstlerische Prozesse entwickeln können. Ihre Aufgabe ist es – wie Winfried Virnich (Prof. an der Kunsthochschule von 1997 – 2021) sagt – jenen „schützenden, rahmenden und auch fordernden Ort“ zu bieten, „an welchem Auseinandersetzung mit dem je eigenen Begehren möglich ist.“ Diesen Schutzraum immer wieder aufs Neue zu bewahren, zu gestalten und stetig zu verbessern, ist die wichtigste Herausforderung, der sich die Kunsthochschule Mainz zu stellen hat.

    Das Primat der künstlerischen Lehre liegt in der Klasse. Jede Klasse untersteht der Leitung einer/eines künstlerischen Professor_in. Somit wird künstlerische Lehre in einer Kunsthochschule im wahrsten Sinne des Wortes am ‚vor-bildlichen’ Individuum der Klassenleiter_innen festgemacht. Die Klasse ist gemeinsames Atelier, Werkstatt, Ausstellungsraum und Ort des Austausches. Institutionalisiert ist dieser Austausch im wöchentlich stattfindenden Kolloquium. Hier werden im Kreis der Klassengemeinschaft frisch entstandene Werke ebenso wie künftige Projekte vorgestellt, analysiert, diskutiert und weitergedacht; Hier können Haltungen heranreifen, sich selbst und seiner künstlerischen Arbeit gegenüber. Wir sind stolz darauf, dass dieses Klassenprinzip seit 2020 auch im Landeshochschulgesetz verankert ist.

    Der Blick in die Vergangenheit zeigt, dass die Kunsthochschule Mainz sich in kurzer Zeit von einem handwerksbasierten künstlerischen Fachbereich der Universität zu einer strukturell an den übrigen 23 deutschen Kunstakademien orientierten Kunsthochschule entwickelt hat. Dabei hat das Ringen um größtmögliche Eigenständigkeit – die Kunsthochschule Mainz ist Teil der Johannes Gutenberg-Universität, während fast alle übrigen Kunsthochschulen autonome Institutionen sind – einen hohen Stellenwert eingenommen. Mit derzeit ca. 180 Studierenden und 14 Professuren (11 Fachklassen, 1 Kunstbezogene Theorie, 1 Kunstdidaktik, 1 Basisklasse) gehört die Kunsthochschule Mainz zu den kleinsten in Deutschland.

    Die Stärke der Kunsthochschule Mainz liegt einerseits in ihrer Konzentration auf die künstlerischen Fächer, für die sie sich den Diplomstudiengang bewahren konnte und andererseits in dem engen Austausch der theoretischen Fächer Kunstdidaktik und Kunstbezogene Theorie (in denen die Kunsthochschule das Promotionsrecht besitzt) mit den künstlerischen Klassen. Hier zeigt sich ein so nur in einer Kunsthochschule möglicher lebendiger Theorie-Praxis-Bezug. Das hier praktizierte gleichberechtigte und eng verzahnte Miteinander der Studiengänge Freie Bildende Kunst und Lehramt gibt ihr ein besonderes Profil. Für Absolvent_innen des Lehramtsstudiums bedeutet die Erfahrung künstlerischen Denkens – der grundsätzlichen Andersartigkeit künstlerischen Wissens und Handelns, wie sie das Atelierstudium an einer Kunsthochschule ausmacht – eine unschätzbare fachliche Basisqualifikation. Entwicklung und Prägung ästhetischer Diskurse ist eine grundlegende gesellschaftliche Aufgabe von Kunsthochschulen; Sie gilt es auf diesem Weg auch in die Schule zu tragen.

    Das Selbstverständnis der Kunsthochschule Mainz ruht auf zwei Säulen: der Ermöglichung qualitätsvoller zeitgenössischer künstlerischer Positionen ihrer Studierenden und der offensiven Vermittlung ihrer Werke in die Öffentlichkeit– Schutzraum und Brücke. Die hohe Intensität der Lehre wie auch ein umfangreiches Ausstellungs- und Vortragsprogramm zeugen hiervon. Mit diesem Selbstverständnis verbindet die Kunsthochschule Mainz den Anspruch auf die Position eines der wichtigsten Foren für die Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Kunst und Kultur in Rheinland-Pfalz.

    Dieser Anspruch zeigt sich auch in dem jüngst vorgenommenen Zusammenschluss mit dem renommierten Künstlerhaus Schloss Balmoral. 2021 wurde das Künstlerhaus – zuvor eine Einrichtung der Stiftung Rheinland-Pfalz für Kultur – inhaltlich, haushalterisch und verwaltungstechnisch in die Verantwortung der Kunsthochschule Mainz übertragen. Dies bedeutet: Das berühmte Stipendiatenhaus in Bad Ems ist von nun an ebenso Dependance der Kunsthochschule wie die Kunsthochschule Partnerin des Künstlerhauses. Dies ist ein einzigartiger Zusammenschluss, der beiden Häusern ein deutschlandweit einzigartiges Alleinstellungsmerkmal verleiht, ihre internationale Attraktivität befördert und die Außerordentlichkeit der Kunsthochschule Mainz unterstreicht.

    Martin Henatsch, Rektor der Kunsthochschule Mainz